5. Januar 2013

Hej, ich bin wieder zuhause. Und ich fühle mich gut.

Aber es ist viel passiert. Sehr viel. Interessiert daran. Wenn nein, dann hör’ doch auf zu lesen. Wenn ja, dann informier’ dich halt.

Die Nacht zum 3. Januar war gut. Der Schlaf hielt sich in Grenzen, aber er war erträglich. Morgens hätte ich gerne noch länger schlafen dürfen. Essen ist nicht. Trinken auch nicht. Wenn man hier nicht abnimmt, wo dann?

Bin ich aufgeregt? Nein, nicht wirklich. Es geht so. Natürlich denkt man dran, was alles sein könnte, wenn die nächsten Stunden vorbei sind. Aber das ist auch schon alles. Ansonsten bin ich ruhig. Zu ruhig? Hoffentlich nicht.

So gegen 9 kommt der Chefarzt. Er spricht mit mir. Er spricht lange mit mir. Mein Zimmerkollege, der bald gehen darf, wird gar nicht wahrgenommen. Er liegt aber auch nicht in seinem Bett, sondern sitzt am Tisch und lauscht den Ausführungen des Chefarztes.

Ich müsse mich noch gedulden bis der Eingriff komme. Ich sei der Letzte, der dran kommen werde. Ich sei heute sein “Sahnehäubchen”. Man fühlt sich geehrt. Trotzdem wäre es mir lieber, nicht das Sahnehäubchen zu sein. Sei’s drum. Heute bin ich halt das Sahnehäubchen.

Die anderen Untersuchungen hätten keine Hinweise auf Metastasen ergeben. Das CT-Ergebnis liege noch nicht endgültig vor, aber was er bis jetzt gehört habe, weise nicht auf weitere Probleme hin.

Er beschreibt mir noch einmal, welche einzelnen Schritte bei der Ausschälung vorgenommen werden. Und das ich bis morgen früh nichts essen darf. Na, das ist ja nix Neues. Das kenne ich mittlerweile ja schon.

Nach dem langen – wirklich sehr langem – Gespräch verabschiedet er sich und sagt, dass ich so gegen 12 Uhr dran kommen würde. Der Stationsarzt und die Schwester sind lange verschwunden. Sie kamen zwar mit ihm, mussten dann aber zu anderen Taten schreiten.

Was tun bis 12 Uhr? Sudoku ist das Mittel der Wahl. Das lenkt ab. Das fordert. Mein Zimmerkollege wird abgeholt. Er ist froh, nach Hause zu dürfen. Er bekommt noch ein paar Magentabletten von mir geschenkt, die ihm auch verschrieben wurden. Geteiltes Leid ist halbes Leid.

Kaum ist er raus, wird gereinigt. Und keine 30 Minuten später ist ein neuer Zimmerkollege da. Mit dem werde ich bis zu meiner Entlassung nicht reden. Er ignoriert mich auch total. Er ist bettlägerig, schnarcht und wird mich später die ganze Nacht wach halten. Er scheint recht krank zu sein. Die Toilette ist durch ihn am nächsten Morgen ziemlich “versaut”. Ich ekle mich und das nicht zu knapp.

Nun, damit muss man rechnen. Man ist halt im Krankenhaus. Aber es war schon grenzwertig. Und jeden Tag muss man das auch nicht haben.

 

High Noon 

Es geht auf Mittag. Die Uhr tickt. Ich werde abgeholt. Eine Dame, die ich schon öfter Betten schieben sah, kommt zu mir.

Ich schnappe mir mein Trikot von Bjarte und dann geht es los. Ich darf mein Bett selber schieben. Das habe sie auch nicht jeden Tag, sagt sie mir. Ich freue mich, mein Bett selber zu schieben. In der Endoskopie lacht man, als man den Patienten mit dem Bett kommen sieht.

Ich werde vor den Raum geschoben, in dem man mir etwas aus meinem Innersten nehmen möchte, auf das ich in der Tat sehr gerne verzichten werde. Dort warte ich noch etwa 20 Minuten. Dann geht es rein.

Ich soll auf dem Bett liegen bleiben. Der Eingriff wird auf dem Bett vorgenommen. Bei der Vorbereitung treffe ich endlich jemand mit Ahnung von Handball. Eine junge Frau mit Namen Jasmin sieht Bjartes Trikot und erkennt sofort, was das bedeutet. Wir quatschen lange und ausdauernd über die Rhein-Neckar-Löwen, über Bjarte und über ihren Handballverein. Die Zeit vergeht im Fluge.

Ich werde verkabelt. Blutdruck, Sauerstoffschlauch in der Nase, Infusionschlauch bestücken. Der Chef kommt. Wir schwätzen noch ein Weilchen. Dann kommt der Assitenzarzt. Er hat Propofol. Das Mittel, das auch schon Michael Jackson in die ewigen Jagdgründe geschickt hat.

“Schlafen Sie gut”, höre ich noch und dann fehlt mir der Rest.

Was jetzt geschieht, entzieht sich meiner direkten Beobachtung. Später werde ich einige Fotos sehen, die während dieser Zeit gemacht worden sein müssen.

Ich gehe davon aus, dass mir während dieser Zeit der böse Bube aus meiner Speiseröhre genommen worden ist, der mir sonst irgendwann noch viel mehr Probleme gemacht hätte.

“Hallo Herr Meyer, ist alles klar?”

Klar, na ich weiss ja nicht. Ja, ich bin wieder wach. Jasmin ist wieder da. Sie überwacht meine allmähliche Rückkehr ins Leben. Mir ist bewusst, dass mir jetzt etwas fehlt. Hoffentlich! Aber ist alles auch gut gelaufen. Hoffentlich!

Es tut mir etwas weh. Irgendwo da, wo mir etwas entfernt wurde. Das war aber auch nicht anders zu erwarten. Jasmin gibt mir Novalgin. Es tropft und tropft in mich hinein. “Wird es schon besser?” Ich verneine. Dann tropft es eben weiter.

Ich hätte soviel Propofol bekommen, dass man damit zwei Ochsen hätte lahmlegen können, heisst es. Ich hätte mich ja auch wirklich überhaupt nicht bewegen dürfen. War wohl eine Sicherheitsmaßnahme.

So ganz allmählich kommen die Lebensgeister wieder. Es ist kurz vor 3 Uhr, als ich wieder in mein Zimmer komme. Diesmal darf ich mein Bett nicht selber schieben. Warum eigentlich? Na ja, vielleicht ist es besser so.

Und jetzt? Das Übliche! Nichts essen und nichts trinken. Das kann ich ja schon. Darin bin ich Spezialist. Mein Zimmerkollege schnarcht. Das nervt.

Ich liege noch ein Stündchen vor mich hin und denke. Aber nichts Besonderes. Man denkt halt.

Besuch! Meine beiden Damen kommen. Schön, sie zu sehen. Wir quatschen ein wenig im Zimmer. Dann gehen wir. Ich kann ja wieder laufen. Etwas wackelig noch, aber es geht. Und schließlich hatte ich keine OP am Fuß.

Wir gehen in die Cafeteria. Meine beiden Damen bestellen sich etwas und genießen. Ich sitze daneben. Nicht trinken, nicht essen. Egal, ich kann ja zehren.

Wir gehen nach oben auf Station. Ins Zimmer will ich nicht. Dort schnarcht einer dauernd. Wir bleiben draußen und schalten den Fernseher ein. Es kommt Biathlon. Das könnte ich mir jetzt anschauen. Gabi und Mona gehen und ich sitze allein vor dem Fernseher.

Es vergehen keine 5 Minuten, da erscheint der Chefarzt. Er setzt sich zu mir. Ich schalte den Fernseher aus und wir erzählen miteinander. Das Gespräch dauert länger.

Er erzählt mir von dem Eingriff. Es sei alles gut verlaufen. Er habe dreimal abgetragen, um ganz sicher zu sein. Es habe nur wenig geblutet und sei leicht abgegangen. Das sei ein gutes Zeichen. Er habe – nur zur Sicherheit – noch eine Klammer drangemacht. Er gehe davon aus, alles erwischt zu haben. Ganz sicher sein könne man allerdings nicht.

Nach einigen Wochen solle ich zu einem ambulanten Termin zu einer erneuten Spiegelung kommen.  Es müsse engmaschig überprüft werden, denn es könne etwas wieder kommen.

Einige Wochen später solle ich dann zur “Radio frequence ablation”. Abkürzung RFA. Ein Witz! Da hält der Meyer seit 15 Jahren Vorlesung über RFA (Röntgenfluoreszenzanalyse),  und dann kommt da eine Methode mit der gleichen Abkürzung, die mir helfen soll. Das ist ja schon irgendwie komisch.

Er nennt mir auch die Ärzte aus Amsterdam, die diese Methode entwickelt und sehr erfolgreich angewendet haben. Dr. Jacque Bergman heisst der Arzt. Ich werde mir seine Arbeiten anschauen.

Wir unterhalten uns aber auch über viele andere Dinge. Ich glaube, ich habe Babbelwasser. Wir sprechen über das Krankenhauswesen, über seinen Berufsweg, über sein Auto, über viele andere Dinge. Er ist sehr geduldig mit mir.

Wir verabschieden uns. Ich habe ein gutes Gefühl. Ich denke daran, dass er ja eigentlich Urlaub hat. Er ist hier, weil er mir geholfen hat. Ich bin beschämt. Ich spüre, dass ich tief in seiner Schuld stehe.

Aber: Er macht seinen Beruf, genau so, wie ich meinen immer gemacht habe. Auch mir ist immer wieder mein Urlaub verfallen. Auch ich bin seit 18 Jahren praktisch rund um die Uhr für die Menschen erreichbar, die an der Mikrosonde arbeiten. Auch während des Urlaubs. Also relativiert sich mein Schuldgefühl wieder. Etwas!

Jetzt muss ich mich informieren. Ich gehe mit meinem Rechner zur Patientenaufnahme. Dort ist der beste Empfang. Ich recherchiere im Internet über die Methode, mit der bei mir die Nachbehandlung erfolgen soll. Ich werde schnell fündig. Es gibt genug neue Literatur über “RFA”. Klingt alles sehr gut. Während ich noch lese, läuft der Chefarzt vorbei. Er war immer noch da. Mit einem Lächeln registriert er, was ich mache.

Der Tag war ein ganz besonderer Tag in meinem Leben. Kann sein, dass es einer der Wichtigsten war. Wir denken positiv.

Ich gehe ins Zimmer. Es ist Zeit zu schlafen. Ich ahne noch nicht, dass ich in dieser Nacht kaum schlafen werde. Mein brummiger kranker Zimmerkollege wird dafür sorgen, dass ich mir wünsche, so schnell wie möglich wieder heim zu kommen.

 

4. Januar 2013

Es wird hell. Der Morgen dämmert. Ich bin gerädert. So wenig Schlaf. Aber ich fühle mich gut.

Ich darf wieder essen. Essen? Na ja, eher schlürfen.

Passierte Nahrung. Brei, Brei Brei. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie gut so etwas schmecken kann, wenn man so lange nichts essen durfte.

Heute werde ich schon nach Hause gehen. Nachdem ich mein Frühstück ohne zu kauen herunter gespült habe, gehe ich aus dem Zimmer. Es ist hier nicht auszuhalten. Das Bad ist schmutzig, weil mein “Mitbewohner” die ganze Nacht drauf war.

Ich halte mich lieber auf dem Flur auf. Schon früh gegen 9 Uhr kommt der Chefarzt. Er ist guter Dinge und zufrieden mit dem Ergebnis.

Soll ich auch zufrieden sein? Besser ist es wohl. Natürlich pocht es noch in einem drin. Es bleibt die Unsicherheit. Auch ich würde als Arzt sagen, dass alles gut sei. Das wiegt den Patienten in Sicherheit. Das beruhigt ihn. Verständlich!

Aber ist das die Wahrheit? Das kann ich nur hoffen. Aber wissen kann ich es nicht. Bis diese Hoffnung mal zur Gewissheit werden kann, wird noch viel Zeit vergehen. Zuviel Zeit. Man möchte es immer gleich wissen. Gleich und mit klarer verlässlicher Antwort. Aber das geht leider nicht. Geduld! Geduld!

Er sagt mir noch einmal, dass ich Ende des Monats wieder zur Magenspiegelung kommen soll. Bis dahin ist auch das Ergebnis der Pathologie da. Dann steigen meine Chancen. Aber selbst dann bleibt eine Unsicherheit. Ich muss damit leben. Die Betonung liegt auf  ”leben”!

Ich werde abgeholt. Es geht nach Hause. Schön, dass ich aus dem Krankenhaus darf.

Es ist schön, wieder zuhause zu sein. Zuhause zu sein und zu wissen, dass der schlechteste Teil des eigenen Körpers hoffentlich im Krankenhaus geblieben ist.

Die Tage zuhause sind schön. Essen? Ja! Brei! Aber das ist doch was Tolles! Ich würde für den Rest meines Lebens nur noch Brei essen, wenn ich wüsste, dass dann alles gut bleibt.

Ich nehme mir vor, in den nächsten Tagen das Thema “Krebs” für mich abzuhaken. Es hilft nichts, darüber zu grübeln. Und weil das so ist, werde ich es auch nicht tun.

Es geht mir gut. So gut, wie schon länger nicht mehr. Ich fühle mich gut. So gut, wie schon lange nicht mehr. Ich nutze die Zeit, um nicht nur auf dem Sofa zu liegen. Warum auch? Ich räume im Haus herum, ich erledige privaten Bürokram, zahle einen Strafzettel (mal wieder zu schnell gewesen) und arbeite für das Institut.

Abends gehe ich noch zum Hausarzt. Der nervt. Der schimpft mal wieder mehr über das Krankenhaus als das er mir zu meiner Krankheit sagen kann. Seine Äußerungen sind zum Teil mehr als haarsträubend. Mona ist dabei und schüttelt auch nur mit dem Kopf. Habe ich wirklich den richtigen Hausarzt?

Die mitgebrachten Bilder und den Arztbericht schaut er an. Über die zukünftige Therapie kann er nicht viel sagen. Früher – vor zehn Jahren – hätte man mir die Speiseröhre in diesem Fall entfernt, sagt er. Heute sei man sehr viel weiter. Er teilt mir mit, dass er andere Patienten kennen würde, die die gleiche Erkrankung hätten. Die würden noch leben. Klingt doch endlich mal gut!

So, und jetzt beende ich erst einmal meine Aufzeichnungen. Ich melde mich wieder, wenn es wirkliche Neuigkeiten gibt. Ich hoffe, dass diese dann gut sind.

 

 

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